William Voltz

Biografie

Teil 44

Ein paar Tage nach seiner Entlassung aus der Klinik setzte sich Willi an seinen Schreibtisch und machte Notizen von den wichtigsten Dingen, die er in den nächsten Tagen erledigen wollte. Er meldete sich im Verlag und bei einigen Autoren, um über das weitere Vorgehen in der PERRY RHODAN-Serie zu sprechen.

Von der Klinik war der histologische Befund gekommen. Negativ - keine Krebszellen in dem entnommenen Gewebe. Als ich den Arzt daraufhin anrief und fragte, ob das ein gutes Zeichen sei, nahm er mir jede Hoffnung. Es sei auf jeden Fall bösartig. Da bestehe kein Zweifel. Meinem Mann erzählte ich erst einmal nur von dem negativen Befund. Ich hoffte, dass eine weniger schlechte Nachricht ihn etwas aufbauen würde.

Unser Arzt, Dr. Frühauf, tat ein weiteres, um seinen Patienten, so gut es ihm möglich war, zu unterstützen.  Es gab Tage, an denen Willi fast wie ein gesunder Mensch wirkte. Die Arbeit, so hatte ich den Eindruck, machte ihm Freude und gab ihm Mut.
Für die Sommerferien planten wir wieder eine Reise in den Bayerischen Wald.  In diesem Jahr wollten wir die Urlaubszeit dazu nutzen, Willi mit Arztbesuchen und auch alternativen Behandlungen Besserung zu verschaffen. Die Hoffnung auf Heilung wollten wir nicht aufgegeben.

Unsere Freunde, G.M. und Gisa Schelwokat, waren sehr bemüht uns zu unterstützen. Gisa war der Naturheilkunde sehr verbunden und empfahl uns einen Heilpraktiker als zusätzliche Unterstützung zur Behandlung. Wir planten, die gesamten Schulferien in Bayern zu verbringen und fragten an, ob wir „unsere“ Wohnung im Haus Bettina in Rabenstein für diese Zeit in Anspruch nehmen können. Die Enttäuschung war groß als wir die Nachricht bekamen, dass die Wohnung nur in den ersten drei Wochen der Ferien frei sein würde.

„Was machen wir jetzt?“ fragte Willi. Ich beruhigte ihn mit meiner Bemerkung, dass es ganz bestimmt irgendwo im Bayerischen Wald noch eine weitere Möglichkeit geben würde, die zweite Hälfte unserer Ferien zu verbringen.
Bis zu den Ferien hatten wir noch etwas Zeit, die Willi damit verbrachte, den nächsten Silberband fertig zu stellen und dafür zu sorgen, dass die Autoren ihre Exposés bekamen. Außerdem nahm er, wie jedes Jahr, auch diesmal seine Reiseschreibmaschine mit.

Bevor wir unseren Urlaub antreten konnten, machte ich noch einen Termin aus bei einem Arzt in Bad Abbach, in der Nähe von Regensburg. Die Empfehlung hatten wir von Schelwokats. Der Arzt wollte seinen zukünftigen Patienten kennenlernen. Nach einem ausführlichen Gespräch und der Einsicht in die Unterlagen schlug der Arzt vor, mit der ersten Behandlung zu beginnen. Er wollte erreichen, dass Willis Allgemeinbefinden besser wird. Es war nicht zu übersehen, dass die Kraft meines Mannes nachließ. Auch hatte er an Gewicht verloren.

Mit diesem Gerät, an das Willi angeschlossen wurde, entnahm man Blut, das mit Sauerstoff versorgt wieder in den Körper zurückgeführt wurde.  Wir klammerten uns an alles, was Hoffnung versprach. Ich hatte meine Zweifel, doch wenn sich mein Mann für einige Stunden nach der Behandlung besser gefühlt hatte, war es den Aufwand wert. Wir vereinbarten Termine für die weitere Behandlung während unseres Urlaubs.

Als wir nach einer anstrengenden Fahrt im abendlichen Berufsverkehr endlich wieder zu Hause angekommen waren, rief Willi bei Schelwokats an, um mit ihnen über die Erfahrungen des vergangenen Tages zu sprechen. GMS war sehr enttäuscht, dass wir ihn nicht besucht hatten.  Willi erklärte ihm, dass dies ein langer, anstrengender Tag für uns war, und dass außerdem unsere Kinder zu Hause auf uns gewartet hatten.  Günther sah ein, dass wir nach insgesamt sieben Stunden Autofahrt und mindestens zwei Stunden in der Arztpraxis nicht noch drei weitere Stunden anhängen konnten, um ihm zu berichten.

Kurz vor Beginn der Schulferien luden wir traditionsgemäß Willis Jugend-Fußballmannschaft zu uns nach Hause zum Spaghetti-Essen ein. Anschließend wurden die Buben nach Offenbach ins Kino gefahren. Auch hierbei hatte Willi die Unterstützung seiner beiden Assistenten.

Für uns war es an der Zeit, alles zu packen, was für die Urlaubswochen wichtig war. Dazu gehörten nicht nur ausreichend Kleidung, Bücher und Spiele, sondern auch Willis Perry Rhodan Unterlagen und die Schreibmaschine.  Bald war alles für unseren sechswöchigen Tapetenwechsel gepackt. Wir freuten uns auf die Abwechslung und hofften auf eine angenehme Zeit.
Schelwokats hatten uns gebeten, auf dem Weg nach Rabenstein in Straubing einen Halt zu machen. Wir kamen dem Wunsch entgegen und fuhren in Richtung Straubing. Frau Schelwokat hatte Kaffee gekocht und eine Agnes Bernauer Torte gekauft. Diese Torte hat einen traurigen, geschichtlichen Hintergrund; sie schmeckte jedoch phantastisch. Ich war nie ein Freund von Sahnetorten, aber diese war einfach gut. Gisa Schelwokat hatte uns mehrmals mit einer Überraschungstorte beglückt.
Nach zwei Stunden Aufenthalt verabschiedeten wir uns. Ich wollte weiterfahren und nicht zu spät in Rabenstein ankommen. Auch konnte ich erkennen, dass mein Mann müde wurde. Mit dem Versprechen, dass wir uns bald wiedersehen werden, packte ich meine Männer ins Auto und fuhr weiter.

In Rabenstein angekommen, begannen wir damit, das Auto auszuladen und verstauten alles am dafür vorgesehenen Platz. Unsere Kinder bekamen wie immer das Schlafzimmer mit den Doppelbetten. Wir entschieden uns auch diesmal wieder für die ausziehbare Doppelcouch im Wohnzimmer, was uns auch ermöglichte, abends noch ein wenig fernzusehen – zum Abschalten…

Da der Kühlschrank noch leer war, sich aber ein Hungergefühl, besonders bei der jungen Generation, eingestellt hatte, machten wir noch einen Abstecher nach Zwiesel. Wir kannten uns aus und fanden schnell unser Lieblingslokal. Unsere Kinder liebten Wild, wofür diese Gaststätte der perfekte Platz war. Die beiden bestellten sich Hirschbraten mit Kartoffelklößen und Rotkohl. Von wem auch immer sie diese Vorliebe hatten - von mir kam’s nicht. Auch mein Mann liebte Wild; aber nicht an diesem Tag. Wir begnügten uns mit einer leichteren Kost und fuhren gesättigt und zufrieden zurück.

Willi war müde und man sah ihm die Anstrengungen des vergangenen Tages an. Er bat mich, ihm noch ein paar heiße Kompressen auf seinen schmerzenden Bauch zu legen. Er hatte herausgefunden, dass ihm diese Behandlung hilft, zumindest für ein paar Stunden. Ich brachte meinem Mann noch ein paar Tropfen gegen die Schmerzen, dann schlief er ein.
Zum ersten Mal hatten wir unsere lokale Tageszeitung an unseren Urlaubsort senden lassen. Willi wollte darüber informiert sein, wie seine Rosenhöhe, für die er sich als Spielausschuss und bis zu seiner Erkrankung auch als Spieler der 2. Mannschaft, sehr engagiert hatte, die Saison beenden würde.  Die Reservemannschaft hatte gute Chancen die Meisterschaft zu gewinnen.
“Wenn es irgendwie geht“, sagte Willi, “versuche ich, am Sonntag nach Offenbach zu fahren. Ich möchte dabei sein, wenn die Mannschaft gewinnt!” Bei allem Verständnis für diesen Wunsch, hielt ich die Idee meines Mannes für leichtsinnig. “Ich bekomme das schon hin”, glaubte er. “Ich fahre früh los und bin abends wieder zurück.”  “Du musst es wissen”, war meine Reaktion.

Willi fuhr tatsächlich am Sonntag frühmorgens los. Mir gingen keine guten Gedanken durch den Kopf. Was ist, wenn seine Schmerzen plötzlich auftreten und niemand dabei ist, um ihm zu helfen. Er hatte zwar Schmerzmittel verschrieben bekommen, aber die Wirkung setzte auch nicht sofort ein. Ich hatte Angst und hoffte, dass alles gutgehen würde. Inzwischen waren die Buben aufgestanden und freuten sich aufs Frühstück. “Wo ist denn Papa?” wollten sie wissen. Ich hatte nichts erzählt, immer noch in der Hoffnung, dass Willi Vernunft zeigen würde. “Der Papa ist auf dem Weg nach Offenbach. Er möchte unbedingt dabei sein, wenn die Reserve die Meisterschaft gewinnt!” Sie sahen mich etwas erstaunt an, fanden jedoch, dass Papa dazugehört. “Er kommt schon wieder gut zurück”, meinte Ralph.

Kurz darauf klingelte es an der Tür. Wer kann denn das sein, so früh am Sonntagmorgen? Ich öffnete die Tür, vor der mein Mann stand. “Ist alles in Ordnung?” wollte ich wissen. “Ja, ja, alles in Ordnung. Ich konnte so früh keine offene Tankstelle finden. Ich habe mich entschieden, einfach wieder zurückzufahren. Ich wollte euch auch nicht alleine lassen!”

Ich hatte verstanden! “Ich bin froh, dass du zurück bist. Sie werden schon gewinnen”, versuchte ich ihn zu trösten.
Als wir hörten, dass die Reserve der Rosenhöhe die Meisterschaft gewonnen hatte, war die Freude groß.

Langsam neigten sich unsere drei Wochen im Haus Bettina dem Ende zu. Unsere Buben verbrachten viel Zeit im Schwimmbad, während wir Arztbesuche machten. Das Sommerwetter war auf unserer Seite. Inzwischen hatte ich versucht in der näheren Umgebung eine Unterkunft zu finden. Hoffnungslos! Die Ferien hatten in Bayern begonnen und alles war ausgebucht. Ich erinnerte mich an das Hotel in St. Englmar. “Das ist so groß, da wird schon noch etwas für uns frei sein.” Auf dem Weg dorthin hielten wir überall an, wo ein Schild “Ferienwohnung zu vermieten” zu sehen war. Immer dieselbe Antwort: “Wir sind ausgebucht!” Wir erreichten St. Englmar. Voller Optimismus ging ich zur Rezeption. Enttäuscht kam ich zum Auto zurück.  Fast schon ohne Hoffnung machten wir uns auf den Weg in Richtung Norden. Als ich den Ortsnamen “Mitterfels” sah, erinnerte ich mich an die Geschichte, die uns Gisa Schelwokat erzählt hatte. Dies war der Ort, in dem sie mit ihrer Familie nach der Flucht aus Ostpreußen untergebracht worden waren.

“Ich fahr’ mal rein”, sagte ich, “lass’ es uns versuchen”.  Gleich am Ortseingang sah ich einen Hinweis, dass in dem Haus, auf das wir zugefahren waren, Wohnungen zu vermieten sind. Ein freundlicher junger Mann begrüßte uns und ich hoffte, dass er mich nicht enttäuschen würde. Wir sind so gut wie ausgebucht, sagte er. Bis auf eine Wohnung, die allerdings im Untergeschoss liegt. Möchten sie die Wohnung sehen? Gerne sagte ich und folgte ihm nach unten. Die Wohnung war völlig in Ordnung. Vom Eingang her mussten wir ein paar Stufen nach unten gehen. Wenn man im Wohnzimmer stand und von der Terrasse aus in den Garten sah, war es Parterre. Das Haus war relativ groß und oval angelegt. Die Wohnung bestand aus Wohnzimmer mit Schlafgelegenheit, Küche, Schlafzimmer und Bad. Sie war nett eingerichtet und wir mieteten sie für die nächsten drei Wochen. Gleich neben unserer Wohnung war die Waschküche untergebracht. Dies sollte aber kein Nachteil sein. Im Gegenteil - wenn mein Mann Schmerzattacken hatte und heiße Kompressen benötigte, musste ich nur über den Flur gehen und konnte ihn ständig damit versorgen. Wir waren erleichtert, diesen Platz gefunden zu haben.

Auch hier war ein Schwimmbad und Abwechslung für die Kinder.
Im Ort gab es auch einen kleinen Edeka-Laden. Auf einem Schild wurde darauf hingewiesen, dass es immer mittwochs frische Forellen zu kaufen gibt. Wir nahmen dieses Angebot gerne an und bestellten für die Zeit unseres Aufenthalts jeden Mittwoch die Forellen aus dem naheliegenden Bach. Es waren die besten Forellen, die wir je hatten.

Unsere Arztbesuche machten wir weiterhin. Von einem der Ärzte wurde Willi ein Magnetfeldgerät empfohlen. Er fühlte sich tatsächlich besser, nachdem er ca. 20 Minuten in diesem Ring gelegen hatte. Er entschied, dass er ein solches Gerät kaufen möchte. Auch in diesem Fall waren Schelwokats emsig und halfen uns bei der Abwicklung. Das Gerät wurde bei der Herstellerfirma in München bestellt und von einem Kurier nach Straubing geliefert. Die Kosten wurden durch den Direktkauf massiv gesenkt. Das Gerät gibt es heute noch und hilft u.a. bei Rückenproblemen.

Wir versuchten alles, um es meinem Mann besser gehen zu lassen. Es war jedoch nicht zu übersehen, dass seine Kräfte nachließen. Umso mehr freuten wir uns, wenn es gute Stunden gab.

Eine traurige Nachricht überbrachte uns telefonisch in unserer Ferienwohnung GMS. Er teilte uns mit, dass der ehemalige Cheflektor, Kurt Bernhardt, am 16. Juli verstorben sei. Nur zwei Jahre nach seiner unvergesslichen Abschiedsfeier in München. Es blieb ihm leider nicht viel Zeit, sein Rentendasein mit seiner sympathischen Frau zu genießen. Bernhardt wurde oft als Choleriker bezeichnet. Sicher konnte er aufbrausend sein, aber nur, wenn man ihn reizte. Und das taten Autoren, die unzuverlässig waren. Schließlich lag die Verantwortung bei ihm. Kurt Bernhardt wurde in seiner Heimatstadt Frankfurt am Main beigesetzt. William Voltz hatte einen guten Kontakt zu ihm und wir vermissten diesen interessanten Mann, mit dem wir angenehme Stunden verbracht hatten.

Die Urlaubszeit ging zu Ende und wir begannen zu packen. Der Kofferraum unseres Autos war bis zum Rand gefüllt. Außer unserem Gepäck hatten wir jetzt noch das Magnetfeldgerät und eine Wanduhr, die wir für unsere neue Küche im Haus in Heusenstamm gekauft hatten. Sie zeigt heute noch, was die Stunde geschlagen hat. Zum Abschiednehmen hielten wir noch einmal bei Schelwokats an, die uns mit einer weiteren Agnes Bernauer Torte versorgten. Sie passte gerade noch in das letzte Stückchen Luft im Kofferraum. Günter und Gisa Schelwokat gaben uns die besten Wünsche mit auf den Weg. Es sollte für meinen Mann das letzte Treffen mit den beiden Freunden gewesen sein.

Als wir zu Hause angekommen waren, legte sich Willi auf die Couch. Für den nächsten Tag hatten wir schon einen Termin bei Dr. Frühauf. Willi berichtete ihm von seinen medizinischen Erlebnissen im Bayerischen Wald. Sein Arzt hörte interessiert zu und erkundigte sich besonders nach dem Gerät, das entnommenes Blut mit Sauerstoff versorgt und anschließend wieder in den Kreislauf zurückführt. “Ich würde diese Behandlung gerne weitermachen”, sagte Willi, “ich hatte den Eindruck, dass sie hilft und vielleicht hat sie auch eine positive Wirkung auf meine Krankheit.”

Patient und Arzt trafen, dieses Gerät betreffend, eine Vereinbarung. Auch das Magnetfeldgerät kam häufig zum Einsatz, sowie alles an Behandlungsmöglichkeiten, wovon man sich Besserung versprach. Und, da war ja immer noch der Funken Hoffnung, ohne den man in einer solchen Situation nicht existieren kann.  Es war ein Auf und Ab im Befinden: es war jedoch klar zu erkennen, dass nichts tatsächlich besser wurde.

Ich werde nie den Tag vergessen, an dem mir Willi offenbarte, dass er seinen Fußballbuben sagen muss, dass er sie nicht weiter trainieren kann. Er bat mich mitzukommen. Er wusste, dass es auch für ihn nicht einfach werden würde. Ich fuhr meinen Mann und unsere Söhne zur Rosenhöhe und ging mit ihnen zu dem Platz, wo die Buben schon auf ihn warteten. Ich zog mich etwas zurück und beobachtete, wie sich die Buben auf Willis Wunsch hin auf den Rasen setzten und darauf warteten, was der Trainer ihnen jetzt zu sagen hatte. Man konnte den Kindern ansehen, dass es sie traurig machte, was sie zu hören bekamen. Mir liefen die Tränen und ich wandte mich ab. Ich konnte noch hören wie Willi sagte: “Ihr werdet weiterhin gut trainiert werden und viel Spaß haben. Wann immer ich kann, bin ich bei euren Spielen dabei.”

Es war an diesem Abend ein trauriger Abschied.

Für das Jugendteam stand auch noch ein Ausflug nach Florenz bevor. Ursprünglich hatten wir vor, gemeinsam mit allen Buben nach Florenz zu einem internationalen Fußball-Turnier zu fahren. Es hätte mich gefreut, wenn Willi und ich diesen Trip mit den Buben hätten machen können. So blieb mir nur unsere Söhne an den Treffpunkt in Offenbach zu bringen, ihnen einen schönen Aufenthalt zu wünschen mit der Bitte, gut auf sich aufzupassen. Den Bus teilte sich die Rosenhöhe Mannschaft mit einem italienischen Team aus Offenbach. Die Jungfußballer kamen alle heil zurück. Klagen gab es nur über die schlechte Luft im Bus.
Trotz seines schlechter werdenden Gesundheitszustands schrieb Willi noch den Band 1165, der den Titel EINSTEINS TRÄNEN erhielt. Damit Willi nicht jeden Tag zur Behandlung in die Klinik gefahren werden musste, machte Dr. Frühauf den Vorschlag, meinen Mann stationär aufzunehmen. Es war wesentlich einfacher für den Patienten, da er außerdem auch täglich Infusionen bekam. Ich besuchte ihn jeden Tag, fuhr nach Hause, bevor die Buben von der Schule kamen, versorgte sie mit Mittagessen und fuhr anschließend wieder in die Klinik. Willi hatte darum gebeten, die Söhne wieder am Gymnasium in Heusenstamm anzumelden. Er wollte sie in seiner Nähe haben. Die Besitzerin des Internats schrieb uns einen Brief, in dem sie den Vorschlag machte, die Kosten zu halbieren. Stephen und Ralph seien gute Schüler und liebenswerte Kinder. Es wäre schade, wenn sie die Schule verlassen müssten. Ich erklärte ihr, dass es keine finanziellen Gründe sind. Sie hatte Verständnis und versprach, die beiden jederzeit wieder aufzunehmen, falls wir unsere Meinung ändern würden.

Gelegentlich kamen meine Schwiegereltern nach einem Einkauf in einem Heusenstammer Supermarkt überraschend zu Besuch. “Fahr du mal zu deinem Mann, wir bleiben noch hier und leisten Gesellschaft”, sagte Oma Voltz. Sie war eine liebenswerte (Stief-)Mutter, Schwiegermutter und Oma. Ich war dankbar und machte mich auf den Weg zu meinem Mann. Als ich nach dem üblichen Anklopfen das Zimmer betrat, hatte ich den Eindruck, dass er sich gut fühlt. Die Sensoren waren immer aktiv und die Seele freute sich über jede positive Kleinigkeit.

Auf meine Frage, wie er sich fühle, sagte er nur: “Na ja, es geht so!”  Ich spürte, dass ihn etwas bedrückte. “Was liegt dir auf dem Herzen?” fragte ich Willi. “Silberband Nummer 20”, war die spontane Antwort. “Es ist an der Zeit, dass mit der Bearbeitung begonnen wird. Könntest du alles was wir benötigen mitbringen und wir beginnen mit der Bearbeitung gemeinsam?”
Bei allem Verständnis für Willis Wunsch, hielt ich diese Idee nicht für gut. Damals, ohne Unterstützung eines Computers, waren die Vorbereitungen langwierig und aufwendig. Wir waren immer noch bei Heftseiten auseinanderschneiden, aufkleben, Texte lesen und bearbeiten. Es war eine Menge an Arbeit, besonders die Texte mehrerer Hefte zu einem sinnvollen Ganzen zusammenzufügen. Es tat mir weh, meinem Mann diesen Wunsch ablehnen zu müssen. “Ich denke, dass diesen Band ein anderer Autor bearbeiten sollte”, sagte ich. “Es wird sicher nicht einfach sein, aber wir können ihn unterstützen, falls es nötig sein sollte.” Der Erscheinungstermin für Band 20 war März 1985. Da nach Abschluss von Willis Arbeit das “Werk” noch von einer Mitarbeiterin in München abgeschrieben werden musste, war dieser Vorlauf nötig.

So schwer es ihm auch fiel, sah Willi doch ein, dass diese Aufgabe derzeit nicht für ihn zu bewältigen war. Hinzu kam, dass ihm die Schmerzen im Bauchraum sehr zu schaffen machten. Sein Arzt half ihm gelegentlich mit einer Schmerzspritze, deren Wirkung für einige Stunden anhielt.

Dr. Frühauf machte den Vorschlag, dass mein Mann zu einem Darmspezialisten in eine benachbarte Klinik gebracht wird. Wir hatten immer noch nicht die Hoffnung verloren, dass dieser plötzlich aufgetretene Tumor doch irgendwie entfernt werden könnte.

Willi wurde in dem anderen Krankenhaus aufgenommen und gründlichst untersucht. Das Ergebnis war niederschmetternd. Es gab nicht nur keine Hoffnung, diesen Tumor zu entfernen, es wurden auch Metastasen in der verbliebenen rechten Lungenhälfte entdeckt.

Nachdem Dr. Frühauf mir den Arztbericht vorgelesen hatte, fragte er, ob wir meinem Mann die Wahrheit sagen sollten.  “Ja”, sagte ich, “es wäre unfair ihn anzulügen. Außerdem weiß er am besten, wie es um ihn steht!” Er nickte und ich ging zu Willi.
Mein Mann wurde erst einmal aus der Klinik entlassen. Sein Arzt wollte ihm eine Pause gönnen, und Willi freute sich, wieder in seinem eigenen Bett schlafen zu können und bei seiner Familie zu sein.  Wir fuhren regelmäßig in die Klinik, um die Behandlungen weitermachen zu lassen, die ihm das Leben etwas erleichterten. Sauerstoff- und Magnetfeldtherapie machten wir zu Hause. Auch zeigte mir Dr. Frühauf, wie man einem Patienten eine Spritze gibt. “Es ist ganz einfach” sagte er, “dann müssen Sie ihren Mann nicht jedes Mal in die Klinik bringen, wenn er eine Schmerzspritze braucht.”  Er gab mir einen Schnellkurs im “Spritzengeben”. Willi meinte, dass ich das besser machen würde als manche Schwester. Wobei es bei einem Patienten, der so gut wie kein Polster mehr auf den Hüften hat, schwierig ist schmerzfrei zu treffen.

Wann immer es möglich war, spazierten wir durch den Heusenstammer Wald, der in zwei Minuten von unserem Haus aus zu erreichen war. Diese Spaziergänge gehörten zu der Sauerstoff-Mehrschritt-Therapie und taten uns beiden gut.
Unsere Nachbarn im Haus gegenüber luden uns zum vierzigsten Geburtstag des Mannes ein. Zu Beginn war eine Fahrt nach Frankfurt in das Theater am Zoo geplant. Aufgeführt wurde ein Zwei-Personen-Stück über das Leben der Schauspielerin Sarah Bernard.  Anschließend sollte zu Hause in den Geburtstag hinein gefeiert werden. Willi sagte, dass er auf keinen Fall ins Theater mitgehen wolle. Das war ihm zu unsicher und zu viel Anstrengung. Er wollte, dass ich mitgehe und mal aus dem Haus komme. „Die Buben sind da und falls etwas sein sollte, können sie mir helfen. Mach‘ dir keine Gedanken und genieße den Abend. Wenn ihr zurück seid, holst du mich ab.”

So machten wir es. Es war eine schöne Abwechslung und auch Willi konnte den Rest des Abends noch etwas genießen.
Kurz darauf kam Willi mit einer Bitte zu mir. “Jederzeit!” sagte ich “Was ist es denn?”

“Demnächst ist die Meisterschaftsfeier der Rosenhöhe 2. Mannschaft. Und wenn es das Letzte ist was ich tun kann, aber da möchte ich dabei sein. Das Problem ist, dass ich keinen passenden Anzug mehr habe. Würdest du mir bei Charlie einen besorgen – und alles, was ich sonst noch brauche?”

Ich wusste, wie viel ihm dieser Abend bedeutete und erfüllte ihm seinen Wunsch. Mein Mann wurde eingekleidet, alles passte und er war zufrieden. Es wurde rundum ein angenehmer Abend, den Willi nach vorheriger Medikation auch gut überstanden hatte. Er tanzte sogar mit mir. Tanzen war nie seine große Leidenschaft, aber er wollte es unbedingt noch einmal probieren. Ich spürte, dass wir beobachtet wurden. Es war nicht zu übersehen, dass Willi nicht mehr der Alte war, aber alle seine Vereinsfreunde freuten sich, ihn zu sehen und wünschten ihm alles Gute, verbunden mit dem Wunsch und der Hoffnung, dass es wieder aufwärts gehen würde.

Willi arbeitete so gut er konnte. Er wollte dem Verlag und seinen Kollegen zeigen, dass er dazu noch in der Lage ist, und dass er dafür sorgen würde, keinen Leerlauf entstehen zu lassen. Mit seinem immer noch vorhandenen Elan versetzte er mich in Erstaunen. Er wollte alles tun, damit es so problemlos wie möglich weitergehen konnte. Er arbeitete weiterhin an den Exposés und hatte ständig Kontakt zu Verlag und Autoren.

Zu einem fleißigen Mitarbeiter innerhalb der Rhodan-Redaktion war seit einiger Zeit Franz Dolenc geworden. Der Rhodan-Kenner aus Österreich schrieb an Willi Leserbriefe, in denen er sich über Fehler der Autoren ausließ. Willi hatte den Eindruck, dass dieser Mann für die Bearbeitung der Silberbände von Nutzen sein könnte. Es stellte sich heraus, dass Franz Dolenc genau der richtige Mann war. Er erleichterte Willi und später Horst Hoffmann die Arbeit an den Silberbänden.
Auch zu Klaus Mahn, den Lesern besser bekannt als Kurt Mahr, hatte Willi viel Kontakt. Sie tauschten Ideen aus und hatten eine angenehme Art der Kommunikation.

Im November 1983 fand in Rastatt eine Autorenkonferenz statt. Der damalige Chefredakteur Walter A. Fuchs lud die Autoren dazu ein, die in einem Hotel in Gaggenau untergebracht wurden.

Willi konnte an dieser Konferenz nicht persönlich teilnehmen. Bevor Klaus Mahn in die U.S.A zurückflog, wollte er seinen Freund und Kollegen besuchen, wie immer, wenn er in Deutschland weilte. Er hatte sich schon von Amerika aus bei uns angemeldet.  Nach dem Abendessen ließ ich die beiden alleine, damit sie sich in Ruhe unterhalten konnten.

Klaus Mahn hatte für diese Nacht ein Zimmer in einem Hotel direkt am Flughafen gebucht, da er am nächsten Morgen zurückfliegen musste. Ich bot an, Klaus Mahn zum Flughafen zu fahren. “Ich fahre”, sagte Willi ganz spontan. Es war die Zeit, in der unsere Blicke mehr ausdrücken konnten als unsere Worte. Ich wusste, dass er seinem Freund einen letzten Gefallen tun wollte. Bevor es zur endgültigen Verabschiedung kam, fragte Klaus Mahn: “Willi, du hast jede Menge an interessanten und guten Country Platten – hast du auch von den Gatlin Brothers den Song “Midnight Choir”?

Willi ging auf seine Schallplattensammlung zu und zog, ohne suchen zu müssen, die richtige Platte heraus. Klaus Mahn war überrascht, wie gut sich Willi in seinem Sortiment auskannte.

Er legte die Platte auf und wir hörten wortlos zu. Als das Lied zu Ende war, erzählte Klaus Mahn, dass es in Amerika einige Sender gibt, die diesen Song nicht mehr spielen dürfen.

Danach fuhr Willi seinen Freund nach Frankfurt-Flughafen und ich war beruhigt, als er endlich wieder zu Hause angekommen war. Diesen Abend hatte Klaus Mahn in seinem Beitrag für den William Voltz Gedächtnisband erwähnt.

Auch dieses Treffen sollte ein letztes gewesen sein.

Die Weihnachtszeit rückte näher. Wir wollten diese Zeit so gestalten, wie wir das seit vielen Jahren getan hatten. Es wurde festlich geschmückt, wir machten uns Gedanken über das Weihnachtsessen und selbstverständlich wurde auch ein Weihnachtsbaum gekauft. Den Heiligabend verbrachten wir wie immer mit unseren Kindern. Sie wünschten sich Fondue zum Abendessen. Willi machte es sich nach dem Essen und der traditionellen Bescherung auf der Couch bequem. Er wirkte müde und angestrengt. Ich versorgte ihn mit seinen Medikamenten und wir sahen uns mit den Buben zum Ausklang noch einen uralten Weihnachtsfilm mit James Stewart an.

Am ersten Weihnachtsfeiertag war der Besuch von Willis Eltern angesagt. Wie in jedem Jahr kamen sie zum Mittagessen. Mit viel Mut hatte ich mich dazu entschieden, auf dem berühmten Offenbacher Wochenmarkt eine Lammkeule zu bestellen.  Der Metzger aus der Rhön versprach mir ein gutes Stück ausgebeinte Lammkeule und er gab mir auch noch ein paar wertvolle Ratschläge für die Zubereitung. Das Kartoffelgratin, nach dem Rezept einer Freundin, plus Beilagen machten dieses Weihnachtsessen zu einem Genuss. Willis Appetit war trotz seiner gesundheitlichen Schwierigkeiten erstaunlich gut. Meine Schwiegereltern, eher immer etwas kritisch, hatten keinen Anlass zur Klage. Der noch verbleibende zweite Weihnachtsfeiertag wurde von uns in aller Ruhe und ohne großen Aufwand bewältigt.

Als ein paar Tage später das Jahr 1983 zu Ende ging, fiel es uns schwer, positiv ins Jahr 1984 hinein zu feiern. Die Buben durften ein bisschen knallen und böllern, aber die Stimmung war bedrückt. Willi lag auf der Couch. Die Spritzen, die ich ihm alle vier Stunden geben durfte, halfen über die schlimmsten Schmerzen hinweg. Es kam auch vor, dass er sagte: “Wir können noch warten. Es ist noch auszuhalten.”  Im Befinden meines Mannes gab es weiterhin ein Auf und Ab, was sich wiederum auf meinen Zustand positiv oder negativ auswirkte. Ich wusste, dass ich funktionieren muss und, so naiv das auch klingen mag, hoffte ich immer noch auf ein Wunder.

Das neue Jahr war noch jung, als Willi während unseres Frühstücks mit einer Idee kam. “Was hältst du davon, wenn wir ins Kino fahren?  Ich habe in der Zeitung gelesen, dass der neue Film mit Harrison Ford im Autokino gezeigt wird. Ich glaube, das könnte ich schaffen. Im Auto kann ich es mir bequem machen und, falls es keine gute Idee sein sollte, können wir jederzeit nach Hause fahren.”

Gesagt – getan. Am selben Abend fuhren wir zum Autokino, das nur ein paar Minuten von uns entfernt war. Auch unsere Söhne freuten sich über die Abwechslung. Ich erzählte meinen Männern die Geschichte, die mir 1964 im Krankenhaus von einer Zimmernachbarin berichtet wurde.

Dieses Autokino wurde 1960 eröffnet und war das erste in unserer Gegend. Am Eröffnungsabend wurde das Büro, in dem die Kasse untergebracht war, überfallen, die Tageseinnahmen gestohlen und eine der beiden Kassiererinnen erschossen. Die Tochter meiner Zimmernachbarin war eine der Frauen an der Kasse. Sie hörte im Radio von dem Überfall und war sehr erleichtert, als sie von ihrer Tochter angerufen wurde. Den Schmerz musste eine andere Familie bewältigen.

Als noch das Vorprogramm lief, meldete sich bei meinen Männern der Hunger. An einer Bude gab es Hamburger oder Hot dogs zu kaufen. Ich bestellte drei Hamburger und für mich das Würstchen im Brötchen. Dazu gab es Coke und für Papa ein Bier. Stephen half mir beim Servieren unseres außergewöhnlichen Abendmahls. Es war ein angenehmer Abend und Willi hatte ihn gut über die Runden gebracht. Den Rücksitz hatte er so weit wie möglich nach hinten gelegt, so dass er sich einigermaßen bequem ausstrecken konnte. Der Abend tat der Seele gut und als es kurz danach einen weiteren Film gab, den sich Willi ansehen wollte, machten wir das gleiche noch einmal.

Die Behandlungen in der Klinik gingen weiter. Während ich auf meinen Mann wartete, kam Dr. Frühauf zu mir und bat mich in sein Sprechzimmer. Ich kannte ihn als Arzt der klaren Worte und er beschönigte nichts. Er hielt es für angebracht, Willi wieder in die Klinik zu bringen. “Ich weiß, dass Sie sich sehr gut um ihren Mann kümmern, aber auch ihre Kräfte sind begrenzt. Die nächsten Wochen werden nicht einfach sein und ich halte es für besser, wenn wir ihren Mann hier in der Klinik versorgen. Vorausgesetzt, dass Sie damit einverstanden sind.”

Auch wenn es für mich nicht einfach war, stimmte ich doch zu, ahnend, dass es die bessere Entscheidung sein würde.
“Ihr Mann hat am 28. Geburtstag. Lassen Sie ihn zu Hause feiern und bringen Sie ihn am nächsten Tag zu uns. Wir werden uns gut um ihren Mann kümmern und Sie können so viel Zeit mit ihm verbringen, wie Sie möchten.”

An seinem Geburtstag bekam Willi viele Anrufe. Alle wünschten ihm nur Gutes und vor allem Gesundheit. Einigen erzählte er, dass er wieder in die Klinik muss. Wichtig war dies besonders für den Verlag, G.M. Schelwokat und die Autoren, falls sie mit dem Exposé Redakteur telefonieren mussten.     Seine Tasche hatte ich gepackt und er suchte alles zusammen, was evtl. für seine Arbeit wichtig sein könnte. Am nächsten Morgen brachte ich ihn in die Klinik. Er bekam wieder sein Einzelzimmer im neuen Anbau der Klinik. Das Zimmer hatte einen Balkon, von dem man in einen kleinen Park sehen konnte.

Die PERRY RHODAN - Serie betreffend machte derzeit besonders Thomas Ziegler Kummer. Er war ein guter Autor und Willi hatte viel Hoffnung in diesen Mann gesetzt; er war jedoch sehr unzuverlässig. Seit Tagen versuchte Willi, den Jungautor zu erreichen. Ohne Erfolg. Willi bat mich, mein Glück zu versuchen. „Irgendwann muss er ja mal ans Telefon gehen. Ich befürchte, dass er wieder mal abgetaucht ist“, sagte Willi besorgt.

„Ich werde alles versuchen“, versprach ich. Nach unzähligen Versuchen war es mir gelungen, den Autor Ziegler zu erreichen. Ich gab ihm Willis Telefonnummer in der Klinik und bat ihn, dort anzurufen. Was er dann auch tat.



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