William Voltz

Biografie

Teil 41

Am nächsten Morgen trafen sich die Autoren zum Frühstück, um gestärkt im sogenannten Turmzimmer des Verlagsgebäudes zu erscheinen. Perry Rhodan und „seine Zukunft“ sollte diskutiert werden. Nach und nach trafen einige Nachzügler ein, die am Freitag noch nicht kommen wollten oder konnten. Dies waren Johnny Bruck und ein für die PERRY RHODAN-Serie neuer Autor mit dem Namen Wolfpeter Ritter. Seine ersten Versuche als Autor hatte er bei der ATLAN-Serie gemacht. Nun sollte er zeigen, was er für PERRY RHODAN tun konnte.

Diesen jungen Mann hatte ich kurz zuvor in einer Bäckerei, die gleich neben dem kleinen Hotel war, gesehen. Er fiel mir auf, da er, trotz der winterlichen Temperaturen, nur ein weißes T-Shirt und eine Jeans Latzhose trug. Es war zwar nicht mehr so kalt wie am Tag zuvor – aber so ganz ohne Jacke…

In der Bäckerei kaufte ich für unsere Söhne zwei Adventskalender, die mit Schokolade gefüllt waren. Einen roten und einen grünen, aus Stoff gefertigt und hübsch anzusehen. Diese Kalender gehörten zur Weihnachtszeit und ich wollte die Traditionen beibehalten. Beide werden heute noch im Hause meines Sohnes Ralph für die Adventszeit mit Schokolade gefüllt und seinen beiden Mädchen an die Tür gehängt.

Johnny Bruck war wie immer mit der Bahn gekommen. Er erzählte ganz stolz, dass er auf der Fahrt nach Karlsruhe das Abteil mit Thomas Gottschalk und dessen Frau geteilt hatte. Ich erinnerte mich, dass wir bei unseren Aufenthalten in Bayern gerne einen Sender hörten, für den Thomas Gottschalk moderierte. Er war humorvoll und schlagfertig. Willis Kommentar war damals: „Aus dem wird mal was!“ Bis zur „Wetten Dass“ Karriere sollten noch ein paar Jahre vergehen, aber auch im Fernsehen kannte man inzwischen den Namen Thomas Gottschalk.

Die Autoren wurden um 10:00 Uhr im Verlag erwartet. Wie immer hoffte die Verlagsleitung auf gute Ideen für die Fortsetzung der PERRY RHODAN-Serie. Willi legte sein Konzept vor. Am 17.11. hatte er bereits seine Ideen, die er in die Exposés einbringen wollte, an den Verlag geschickt. Er schrieb:

…anbei wie angekündigt stichwortartige Anmerkungen zur Perry Rhodan Handlung bis Band Nr.1100 und danach. Gedacht als Ergänzung des PR-Sonderexposés und als Diskussionsgrundlage für die PR-Sitzung (ebenfalls für den hoffentlich auszuschließenden Fall, daß ich vielleicht nicht kommen kann). Bitte für alle Rhodanmitarbeiter kopieren und verteilen...

Ich verbrachte den Tag mit einem Bummel durch Rastatt. Nach der Sitzung trafen sich die Autoren nochmals zum Abendessen im Hotel-Restaurant. Alle Anwesenden bestätigten, dass sie sich freuten Willi zu sehen und erleichtert darüber waren, dass es ihm nach der schweren Operation doch schon relativ gut ging. Allgemein wurde ihm baldige, komplette Genesung gewünscht, die sich niemand mehr wünschte als er selbst und seine Familie.

Am nächsten Morgen verabschiedeten sich nach dem Frühstück die Autoren voneinander. Klaus Mahn fuhr nicht mit uns zurück nach Heusenstamm. Er hatte seiner Schwester Hella versprochen, dass er sie in Zell am Harmersbach besuchen wird bevor er in die U.S.A. zurückreist. Inzwischen Rentnerin, war Hella mit ihrem Mann von Braunschweig in diesen schönen Luftkurort im Schwarzwald gezogen. Der gemeinsame Vater und Klaus Mahns Mutter sind dort in einem Familiengrab beigesetzt.

Dass der Schwarzwald in meinem Leben einmal so viel Platz einnehmen würde, konnte ich damals noch nicht ahnen.

Auch wir machten uns auf den Heimweg. Ohne Schneefall und sonstige Probleme kamen wir gut zu Hause an. Unsere Söhne, die während unserer Abwesenheit bei Freunden untergebracht waren, freuten sich, dass wir wieder zu Hause waren. Willi war sehr erleichtert darüber, dass er die Autorenkonferenz gut überstanden hatte. Es lag ihm viel daran, nicht schwach oder gar hinfällig zu erscheinen. Ich sah ihm an, dass er froh war, wieder in seiner Umgebung zu sein und es sich bequem machen konnte.

Der nächste Tag begann wie erwartet mit Anrufen. Willi fühlte sich gut und plante seine Arbeit. Ich erinnerte ihn daran, dass er an diesem Montag einen wichtigen Termin hatte. Seine Behandlung musste fortgesetzt werden. Willi hatte zu seinem neuen Arzt Vertrauen gefasst. Er war nicht viel älter als sein neuer Patient und man verstand sich. Die Behandlung schien Willi gut zu bekommen. Sie bestand u.a. aus einer Mispel- Spritzentherapie und aus einer Sauerstoff-Mehrschritttherapie nach Professor Dr. Ardenne.

Damit wir nicht für jede Sauerstoffbehandlung in die Klinik fahren mussten, kauften wir ein Sauerstoffgerät. Die Flaschen, groß und schwer. besorgte ich bei einer Offenbacher Firma.

Bei allen Gedanken, die uns große Sorgen machten, versuchten wir, uns einen Alltag zu gestalten, der nicht nur die Krankheit im Vordergrund hatte. Positiv denken – das war unsere Devise. Es wird alles gut – wir wollten und mussten daran glauben.

Tagsüber, wenn wir beschäftigt waren, fiel das leichter. Ich wollte meinem Mann Kraft geben indem ich Kraft demonstrierte. Nachts sah die Welt anders aus. Wenn ich spürte, dass ich die Tränen nicht zurückhalten konnte, zog ich mir die Decke über den Kopf, in der Hoffnung, dass es Willi nicht mitbekam. Irgendwann spürte ich seine Hand auf meiner Schulter: „Du darfst nicht so viel weinen, das hilft mir nicht! Du musst stark sein, damit ich das schaffe!“ Ich versprach es ihm. Wir nahmen uns in die Arme und versuchten zu schlafen.

Tatsächlich stellte ich nach einiger Zeit fest, dass ich, wenn mich jemand ansprach, um sich nach dem Befinden meines Mannes zu erkundigen, wesentlich ruhiger war und nicht gleich mit den Tränen kämpfend Auskunft geben konnte.

„Es geht ihm relativ gut und wir hoffen auf das Beste“, war im Allgemeinen meine Auskunft.

Die Entfernung des linken Lungenflügels hatte für Willis Haltung und für den Bewegungsablauf Veränderungen hervorgerufen, an die er sich erst gewöhnen musste. “Ich habe das Gefühl, dass alle Organe erst wieder ihren Platz finden müssen”, sagte er. “Hab’ Geduld, das wird schon wieder”, war der einzige Trost, den ich ihm geben konnte. Oft kamen die Schmerzen in der Nacht. Willi versuchte stundenlang eine Haltung zu finden, in der er schlafen konnte.

“Möchtest du, dass ich den Arzt anrufe?” fragte ich ihn. “Nein, warte noch, es wird schon gehen,” war wie immer seine Antwort. Da es nicht besser wurde, rief ich um 6:00 Uhr morgens die Klinik an. Unser Arzt war bereits ab 6:00 Uhr in seiner Praxis und man musste keine Bedenken haben, um diese Zeit anzurufen. “Kommen Sie, der Doktor ist da”, sagte mir die Mitarbeiterin am Telefon. Ich hoffte, dass unser Arzt meinem Mann, der nach dieser schlaflosen Nacht sehr schwach wirkte, irgendwie helfen konnte. Wir fuhren nach Offenbach und wurden in der Klinik freundlich und hilfsbereit empfangen. “Der Doktor macht noch Visite”, sagte uns die Dame am Empfang. “Es wird nicht mehr lange dauern.” Man brachte uns in ein nicht belegtes Krankenzimmer. “Machen Sie es sich gemütlich. Wir bringen Ihnen gleich Frühstück.” Eine Assistenzärztin kam und sah nach meinem Mann. Die üblichen Untersuchungen wurden gemacht und dabei festgestellt, dass kein Notfall vorlag. “Doktor Frühauf kommt gleich und sieht nach Ihnen”, versprach die junge Ärztin.

“Er macht seinem Namen alle Ehre”, meinte Willi, dem es zumindest psychisch inzwischen besser ging.

Nachdem unser “Arzt des Vertrauens’, wie ich ihn ganz bewußt bezeichnen möchte, uns nochmals erklärt hatte, was nach einer solchen Operation im Körper geschieht, und er uns Mut gemacht hatte, dass alles gut werden kann, fuhren wir einigermaßen beruhigt nach Hause.

Nach ein paar Stunden Schlaf stand Willi auf und setzte sich an seinen Schreibtisch. Die PERRY RHODAN-Serie musste weitergehen und Willi wollte dazu weiterhin beitragen. Die Autoren warteten auf die fälligen Exposés. Sie wurden auf der neuen, elektrischen Schreibmaschine geschrieben. Es erleichterte Willi die Arbeit. Er war es gewohnt, mit zwei Fingern auf seine Schreibmaschine “einzuhämmern”. Aber er gewöhnte sich sehr schnell daran, die neue Maschine etwas sanfter zu bearbeiten. Es kam auch vor, dass Willi im Bett sitzend schrieb. Für ihn war es einfacher, in einer bequemen Haltung zu schreiben und vor allem wichtig, die Autoren pünktlich mit den Exposés zu beliefern. Außerdem mussten Romane geschrieben werden, die Silberbuch-Bearbeitung durfte nicht in Verzug geraten, die Leser-Kontaktseite wollte man nicht vernachlässigen und noch einiges mehr. Wichtig war, dass es weitergehen würde und die Leser zufriedengestellt werden konnten. So gut es mir möglich war, half ich ihm dabei.

Das Weihnachtsfest gestalteten wir ruhig im kleinen Familienkreis, aber wie immer mit einem schönen, bunten Weihnachtsbaum. Traditionsgemäß kamen meine Schwiegereltern am 1. Feiertag zum Essen. Auch der Start ins Neue Jahr wurde ohne große Feier, jedoch mit vielen guten Wünschen begangen.

Für Anfang Februar hatte sich der PERRY RHODAN-Fan Gerhard Franz angemeldet. Er war für seine meisterlichen Fotoarbeiten bekannt, so z.B. auch seine schönen Aufnahmen von dem PERRY RHODAN-Con in Mannheim.

Es ist mir bis heute unangenehm, wenn ich daran denke, dass wir diesen Termin vergessen hatten und noch im Bett lagen, als es am verabredeten Tag morgens klingelte. Wir sprangen aus den Betten, rückten uns einigermaßen zurecht und baten Gerhard Franz und seinen Freund und Mitarbeiter ins Haus. Wir entschuldigten uns für diese Peinlichkeit. Es wurden trotzdem noch schöne Stunden und wir hofften, dass uns die beiden Herren verzeihen würden.

Um die Atlan-Serie kümmerte sich inzwischen Peter Griese. Er hatte Willi bereits im Krankenhaus in Frankfurt besucht, weil er sehr daran interessiert war, diese Aufgabe zu übernehmen.

Der Lektor, G.M. Schelwokat, war mit Peter Grieses Ideen und Vorstellungen nicht einverstanden und ließ ihn das auch deutlich wissen. Dem Exposéredakteur blieb keine andere Wahl, als seine Vorstellungen denen des Lektors anzupassen.

Am 4. März 1982 schrieb Peter Griese an G.M. Schelwokat:

…auf Grund der letzten Telefongespräche habe ich nun eine andere Handlung für die ATLAN-Serie entworfen, in der weniger “Geisteswesen” und andere skurrile Figuren vorkommen und in der ein realerer Hintergrund gegeben ist. Natürlich kann ich nicht alle bisher aufgebauten Figuren, wie Catch, Chybrain, die Sounds, die Quelle der Jenseitsmaterie, die Grenzwächter usw. einfach verschwinden lassen. Ich habe versucht, durch den äußeren Rahmen und den Ablauf der Dinge realistischer zu sein.

Meine ursprüngliche Absicht, mit der SOL in die Namenlose Zone zu starten und dort den Anti-ES-Komplex zu lösen, habe ich ganz entfernt….

Im ersten Quartal des Jahres 1982 gab es ein Treffen mit Herrn Blach, dem Geschäftsführer des Pabel-Moewig-Verlags und dem Cheflektor, Herrn Müller-Reymann, in Heusenstamm.

Ich hatte den Eindruck, dass die Verlagsleitung sicher sein wollte, dass mein Mann noch fähig ist, die erforderliche Leistung zu bringen, die er über viele Jahre für die PERRY RHODAN-Serie gebracht hatte. Als ich meinem Mann gegenüber diese Meinung äußerte, meinte er, “dass da vielleicht etwas ‘dran sein könnte”. Nach einem ausgiebigen Frühstück und langen Gesprächen über die Zukunft und allen Details der PERRY RHODAN-Serie, trennte man sich hoffnungsvoll und zufrieden.

Ein Gesprächsthema war auch die Werbung für “Die größte PERRY RHODAN Aktion des Jahres”.

Im Verlag wusste man – sollte Willi Voltz ernsthafte Schwierigkeiten bekommen, das gewohnte Pensum zu bewältigen, würde er rechtzeitig den Verlag informieren und dabei helfen, entsprechenden Ersatz zu finden.

Am 14. April d.J. bekamen wir Besuch von Herrn Peters, der im Verlag auch für den PERRY RHODAN-Report zuständig war.

Nach seinem Besuch in Heusenstamm schrieb er ein Protokoll an alle Beteiligten innerhalb des Verlags.

In dem dreiseitigen Protokoll wurden viele Möglichkeiten zur Verbesserung des PR-Reports

aufgeführt. Ob all diese Vorschläge und Ideen zum Tragen kamen, ist für mich heute nicht mehr nachvollziehbar. In der Schlussbemerkung heißt es:

Ich halte auch für die Zukunft den Kontakt PRR-Redaktion mit Herrn Voltz für wichtig und ergiebig. Über 1000 Bände bieten für den, der ihre Thematik genau kennt, immer immense Möglichkeiten. Es kommt eben auf den Gesprächspartner an. Und die Redaktion – ich meine mich – ist auf Informationen angewiesen.

Anfang Mai kam ein Schreiben des Pabel-Verlags mit der Information, dass am 14.5.1982, ab 10.00 Uhr im PABEL-VERLAG in Rastatt eine PERRY RHODAN-Besprechung stattfinden würde. Wir werden im Turmzimmer konferieren, ließ man die Autoren wissen. Auch William Voltz sollte und wollte dabeisein.

Trotz all der Arbeit, die für Willi zu bewältigen war, hatten wir die Sommerzeit und den damit verbundenen, verdienten Urlaub, nicht vergessen.

G.M. Schelwokat, der sich sehr um einen guten Kontakt zu seinem wichtigsten Autor für die PERRY RHODAN-Serie bemühte, machte uns den Vorschlag, die Sommerferien wieder im Bayerischen Wald zu verbringen. In unserer Situation hatten wir nichts dagegen einzuwenden, ein paar Wochen im ruhigen, erholsamen Süd-Osten von Bayern Urlaub zu machen.

Teil 42

Der Urlaub war uns allen gut bekommen. Willi fühlte sich besser und begann damit, das Training seiner inzwischen B-Jugend Mannschaft wieder zu leiten. Die Buben mochten ihren Trainer und ihm bereitete die Arbeit mit ihnen Freude. Unser jüngerer Sohn, Ralph, spielte C-Jugend und wurde von einem anderen Rosenhöhe-Mitglied trainiert.

Als ich meinen Mann beim Training mit seiner Jugendmannschaft beobachtete und sah, dass ihm die Arbeit Spaß machte, erweckte dies in mir das Gefühl der Hoffnung. ‘Es geht wieder aufwärts’, dachte ich.

Es entwickelte sich ein fast normaler Alltag, der allerdings seit der Operation einige Neuigkeiten beinhaltete. So z. B. die regelmäßigen Arztbesuche, und die immer wiederkehrende Sorge, dass der Krebs zurückkommen könnte. Oft saßen wir am Tisch, hielten uns an den Händen und sprachen uns Mut zu.

Auch unsere Essgewohnheiten hatten sich geändert. Ich hatte einige, von Ärzten verfasste Bücher gelesen und versucht, Willis Speiseplan danach zusammenzustellen. Er hatte sich dazu entschieden, auf Fleisch zu verzichten und auch Alkohol war für ihn erst einmal kein Thema mehr. Der Wunsch, gesund zu werden, war größer als das Bedürfnis nach einem guten Bier oder einem schmackhaften Stück Fleisch.

Er sagte zwar, dass Sojakost nie zu seiner Leibspeise werden würde, aß aber tapfer alles was ihm vorgesetzt wurde. So auch den Quark aus der “Bio-Ecke”, den ich nach einem Rezept aus einem der Bücher mit Leinöl, Blaubeeren oder anderen Obstsorten sowie ungerösteten Bio-Cashew-Nüssen anmachte. Da ich meinen Mann unterstützen wollte und eine gesunde Ernährung sicher auch für mich wichtig war, aß ich ebenfalls von dem Leinölquark.

Seit einiger Zeit war der Name Rainer Zubeil (Pseudonym: Thomas Ziegler) im Gespräch. Offensichtlich war die PERRY RHODAN-Redaktion an seiner Mitarbeit interessiert. William Voltz hielt ihn für einen guten Autor mit neuen Ideen und lud ihn zu uns nach Hause ein, um mit ihm über eine mögliche Zusammenarbeit bei den Exposés zu sprechen. Es wurde entschieden, einen Versuch zu starten. Die gemeinsame Arbeit an der PERRY RHODAN-Serie gestaltete sich nicht immer problemlos. Der Jungautor Ziegler hatte zwar gute Ideen, sie mussten aber auch in das Perry Rhodan Gefüge passen. Willis Konzept für die Fortsetzung der Serie reichte mit Sicherheit für weitere einhundert Bände und die Ideen weit darüber hinaus.

Ein anderes Problem, das Thomas Ziegler mitbrachte, war Unzuverlässigkeit. Er war oft tagelang nicht erreichbar und hielt auch Termine nur mit Mühe ein. Anfangs meinte Willi, dass es wahrscheinlich Startschwierigkeiten sind. „Er wird es schon schaffen. Vermutlich muss er sich erst daran gewöhnen, für andere Menschen Verantwortung zu übernehmen.“

Willi setzte große Hoffnung in eine gute und produktive Zusammenarbeit, die ihn etwas entlasten sollte.

Wie wir inzwischen erfahren hatten, sollte sich unsere kleine Familie um ein weiteres Mitglied vergrößern. Ich war begeistert und schob alle Gedanken, die mich verunsichern konnten, beiseite. “Jetzt bekommst du vielleicht doch noch die Tochter, die du dir gewünscht hast”, sagte ich zu meinem Mann als ich vom Arztbesuch nach Hause kam.

Die Nachricht kam für ihn überraschend und er reagierte, wie ich es erwartet hatte. “Was ist wenn…”

“Denke positiv, alles geht gut!“ versuchte ich ihn zu beruhigen.

Wir trafen uns wieder häufiger mit unseren Freunden, entweder bei uns zu Hause oder nahmen auch gerne die eine oder andere Einladung an. Ein schöner Platz zum Verweilen war die sogenannte Jagdhütte unserer Freunde aus der Nachbarschaft. Sie befindet sich in einem Waldgebiet in der Nähe von Neu-Isenburg. Die Kinder konnten dort schwimmen und sich austoben und alle hatten wir eine angenehme Zeit, an die ich auch heute noch gerne zurückdenke.

Von der PERRY RHODAN-Redaktion hatte Willi den Auftrag bekommen, für das Jahr 1983 einen PERRY RHODAN-Kalender zusammenzustellen. “Das bedeutet viel Arbeit. Meinst du nicht, dass du schon genug zu tun hast”, meldete ich meine Bedenken an.

“Wenn du mir dabei hilfst, schaffe ich das schon”, war Willis Reaktion.

Wir machten uns an die Arbeit. Es galt, alle wichtigen Ereignisse und Daten der PERRY RHODAN-Serie herauszusuchen und den zwölf Monaten zuzuordnen. Auch war für jeden Monat ein Johnny Bruck Titelbild geplant und die Geburtstage der Autoren sollten vermerkt sein.

Die Arbeit machte Spaß. Trotzdem waren wir erleichtert, als sie endlich beendet war und dem Verlag zugesendet werden konnte.

“Hoffentlich habe ich nichts vergessen”, überlegte Willi.

“Dann können wir’s jetzt auch nicht mehr ändern”, antwortete ich. “Es wird schon passen.”

Als es für einen Nachtrag schon zu spät war, stellte mein Mann fest, dass er das Geburtsdatum des Autors Peter Griese vergessen hatte einzugeben.

William Voltz rief bei ihm an, um sich für seinen Fehler zu entschuldigen. Das macht nichts, dann rufen mich auch nicht so viele an! meinte der Autor.

Im Spätsommer hatten in Wetzlar die SF Tage stattgefunden. In der Tageszeitung wurde ausführlich darüber berichtet.

Es war das zweite Süd-Deutsche Treffen der Science-Fiction-Macher. Neues aus der Welt von morgen.

Organisiert wurde diese Tagung von Thomas LeBlanc, bei Goldmann Herausgeber der Sternanthologie, in der ausschließlich SF-Kurzgeschichten und Erzählungen deutscher Autoren veröffentlicht werden, also ein ideales Forum, auch für den Nachwuchs.

Es war eine interessante Veranstaltung, an der u.a. Dr. Jörg Weigand teilnahm. Willi kannte und schätzte ihn seit Jahren. Dr. Weigand hatte die Aufgabe, vom Publikum umringt, auf dem Wetzlarer Marktplatz eine Science- Fiction Story zu schreiben. Auch Karl-Herbert Scheer und Michael Nagula waren anwesend. Willi hatte man gebeten zum Thema „Die Arbeit an einer Romanserie“ zu referieren. Das Interesse an der PERRY RHODAN-Serie, die mit Band 1100 einen Rekord erreicht hatte, den vor 20 Jahren niemand vermutet hätte, war groß.

Im William Voltz Gedächtnisband ist auch ein Beitrag von Dr. Jörg Weigand. Es berührte mich sehr – und tut es noch heute – wie gut Dr. Weigand meinen Mann (er)kannte, obwohl die beiden sich relativ selten sahen und Kontakt nur gelegentlich stattfand.

Eine Besucherin, die zu William Voltz anlässlich der Wetzlarer SF-Tage Kontakt aufgenommen hatte, schrieb ihm einige Wochen nach dem Treffen.

William Voltz war inzwischen seit 20 Jahren für die PERRY RHODAN-Serie nicht nur Autor, sondern auch schon fast genauso lange Mitarbeiter in vielen Belangen. Er sorgte und kümmerte sich um etliche Details, die zum Erfolg und Erhalt der Serie beigetragen hatten und für die er auch weiterhin verantwortlich sein wollte. Da es einiges gab, womit er nicht zufrieden war oder was ihn verärgerte, machte er seinem Unmut in einem Schreiben vom 23.9.82 Luft. Willi führte insgesamt 16, wie er es nannte, Klagepunkte auf. Letzten Endes bedeutete dieser Brief aber nicht nur Kritik, sondern sollte dabei helfen, über einige Dinge intensiver nachzudenken sowie Fehler und Versäumnisse zukünftig zu vermeiden.

Inzwischen war ein Jahr vergangen seit Willis schwerer Operation. Die Worte des Arztes kamen mir wieder ins Gedächtnis: „Wenn ihr Mann die nächsten drei Jahre überlebt, kann man sagen, dass er es geschafft hat!“

Wir planten, meinen Geburtstag am 14. November mit einigen Freunden zu feiern. Es war die erste größere Einladung in unserem Haus seit Willis Diagnose. Auch wusste noch niemand in unserem Freundeskreis, dass Nachwuchs unterwegs war.

In der Nacht vom 3. auf den 4. November musste mich mein Mann in die Klinik bringen. Wir verloren unser Baby.

„Ich hatte mich mit dem Gedanken vertraut gemacht und darauf gefreut – jetzt wird es uns wieder genommen“, war Willis traurige Reaktion.

Auch wenn es eine schmerzliche Erfahrung war, die verkraftet und verarbeitet werden musste, sagten wir die Einladungen zu meinem Geburtstag nicht ab. Willi war ein guter Gastgeber und man hätte fast vergessen können, was er in dem vergangenen Jahr hatte durchmachen müssen.

Als das Jahr 1982 zu Ende ging, überlegten wir, wie wir den Silvesterabend verbringen könnten. „Am liebsten zu Hause“, war die allgemeine Tendenz. Wir luden unsere Freunde aus der Nachbarschaft ein, um mit ihnen das neue Jahr zu beginnen. Sie folgten der Einladung gerne und wir verbrachten einen unvergesslichen Abend. Willi hielt sich an keine Diät und trank auch wieder etwas Alkohol.

Um Mitternacht durften sich die Kinder an der unvermeidlichen Knallerei beteiligen und anschließend wurde Blei gegossen.
Der einzige Wunsch, den wir für das Jahr 1983 aussprachen, war „Gesundheit für die Familie“.

Teil 43

William Voltz begann das neue Jahr mit erstaunlich viel Elan. Er war sehr schnell wieder im PERRY RHODAN-Geschehen. Exposés mussten geschrieben werden, der nächste Silberband war fällig und auch seinen Beitrag zu den PERRY RHODAN-Romanen wollte Willi leisten.

Gelegentlich nahm er noch an Veranstaltungen teil. Eine davon war kurz vor Weihnachten 1982 in Köln. In einer Buchhandlung war Signierstunde angesagt und William Voltz war eingeladen. Da genau an diesem Tag auch die Weihnachtsfeier seiner Fußballbuben stattfinden sollte, bat er mich, nicht mit nach Köln zu fahren, sondern gemeinsam mit seinem Co-Trainer, Michael Grünewald, Spieler bei den Offenbacher Kickers, die Feier zu gestalten. Fahren wollte Willi jedoch nicht alleine und so übernahm Andreas diese Aufgabe. Andreas unterstützte seit einiger Zeit die beiden Trainer bei ihrer Arbeit. Am späten Nachmittag kamen die beiden Männer von ihrem Ausflug nach Köln zurück und hatten noch Gelegenheit, die vorweihnachtliche Feier mit den jungen Fußballspielern und ihren Eltern zu genießen.

Willi wirkte erschöpft.

Weiterhin ging er zu den Behandlungen und Kontrolluntersuchungen. Die Sauerstoffmehrschritt - Therapie machte er inzwischen zu Hause. Wir hatten ein Sauerstoffgerät gekauft und ich besorgte die wiedergefüllten Flaschen bei einer Firma in Offenbach. Sie waren schwer und unhandlich, aber wenn man gefordert ist, entwickelt man oft ungeahnte Kräfte. Willi fand, dass diese Metallflaschen hässlich aussehen und bat mich, eine Hülle dafür zu kaufen, die er in der Offenbacher Firma gesehen hatte. Ich entschied mich für eine weiße und musste gestehen, dass dieser Apparat nun wirklich besser aussah als zuvor. Zu dieser Therapie gehörte außerdem die Einnahme von Tabletten und Bewegung. Dafür sorgten wir mit ausgedehnten Spaziergängen, die auch mir guttaten.

Gelegentlich klagte Willi über leichte Schmerzen im Bauchraum, meinte jedoch, dass es sich vermutlich um postoperative Beschwerden handelt und sicher mit der Zeit wieder vorbeigehen würde. Bei allem positiven Denken befanden wir uns in einem Auf und Ab der Gefühle und der Hoffnung.

Die Faschingszeit nahte und wir bekamen eine Einladung zu unseren Nachbarn, deren Sohn mit unserem Sohn Ralph befreundet war. Es hatte sich ein sehr nettes, freundschaftliches Verhältnis zu dieser Familie entwickelt. Die Nachbarin war gebürtige Mainzerin und die Faschingszeit wurde von ihr zelebriert. Auch Willis alter Schulkamerad, den er durch diese Bekanntschaft wiedergetroffen hatte, war mit seiner Frau eingeladen. Wir freuten uns auf diesen Abend und die nette Gesellschaft. Es war für uns eine willkommene Abwechslung in unserem neuen Alltag.

Wie erwartet wurde es ein ausgesprochen harmonischer Abend mit guter Unterhaltung und es wurde auch getanzt. Willi hielt sich gut und wir feierten in den nächsten Tag hinein. Auf dem Heimweg zu später Stunde, wir wohnten nur fünf Minuten Fußweg entfernt, sagte Willi plötzlich, dass er Rückenschmerzen hätte. “Vielleicht hast du doch zu viel getanzt”, vermutete ich. “Ich glaube, dass es ein Fehler war das Fester zu öffnen, um etwas frische Luft hereinzulassen. Ich stand genau am Fenster und es war sehr kalt”, antwortete Willi.

Ich versprach ihm: “Ich packe dich jetzt in ein gewärmtes Bett und hoffentlich geht es dir dann bald besser.” Da Willi seit seiner Erkrankung sehr kälteempfindlich war, hatte ich ihm eine Heizdecke besorgt, die bei Kälte wohltuende Dienste leistete.

“Ich hätte nie gedacht, dass ich in meinem Alter so etwas brauche. Heizdecken sind doch etwas für alte Menschen”, meinte er.

“Hauptsache ist, dass sie hilft”, antwortete ich.

Die Besserung war vorübergehend. Immer wieder traten Beschwerden auf, die meinen Mann dazu veranlassten, mit seinem Arzt darüber zu sprechen. Er gab Willi den Rat, einen Termin in der Röntgenpraxis zu machen, in der er fünf Monate zuvor untersucht wurde.

Ich machte einen Termin und Willi fuhr nach Offenbach. Mein Angebot, ihn zu fahren, hatte er abgelehnt. Ich war beunruhigt. Mein Mann kam etwa zwei Stunden später nach Hause und ich sah ihm an, dass das Ergebnis nicht zu seiner Zufriedenheit ausgefallen war.

Willi berichtete: “Als der Arzt mich durchleuchtete, fragte er plötzlich: “Was haben Sie denn da?”

“Wie und woher soll ich das wissen? Sie sehen in mich hinein!” entgegnete Willi besorgt.

Der Arzt ließ die Röntgenaufnahmen von Oktober 1982 kommen und stellte fest: “Darauf ist nichts zu sehen!”

Er war ratlos und gab meinem Mann die Röntgenaufnahmen für seinen Arzt mit. Er sollte entscheiden, wie weiterbehandelt werden muss.

Willi wurde von seinem Arzt in die Städtischen Kliniken nach Offenbach eingewiesen. Nachdem alle notwendigen Untersuchungen erledigt waren, entschieden sich die Ärzte zu einer Operation. Als ich meinen Mann besuchte erzählte er mir, dass sich der Chefarzt die Zeit genommen hatte, mit ihm zu reden. “Aber nicht etwa über meine Situation”, sagte Willi. “Er erklärte mir, dass er für eine solche Operation den 8-fachen Satz berechnen muss! Als wäre mir das jetzt wichtig!”

Ich konnte Willis Angst spüren und auch ich war innerlich sehr aufgewühlt und wollte nichts anderes, als dass man eine Möglichkeit finden würde, meinem Mann zu helfen.

Die Operation war für den nächsten Morgen vorgesehen. Am frühen Nachmittag bekam ich die Information, dass mein Mann wieder auf der Station ist. Ich sollte mich jedoch erst beim Chefarzt melden. Er möchte mit mir sprechen.

Ich fuhr sofort in die Klinik und meldete mich zum Gespräch an. Dies war, wie befürchtet, sehr deprimierend. Der Arzt schilderte mir, dass der Tumor steinhart sei und außerdem auch nicht entfernt werden konnte, da er genau um die Aorta herum-gewachsen sei.

“Ich konnte mit viel Mühe ein wenig davon abkratzen. Wir müssen auf den histologischen Befund warten”, erklärte er und gestand mir, dass er eine solche Situation noch nicht erlebt hatte.

Der Arzt erklärte mir jedoch auch, dass dies ein bösartiger Befund sei, der aber keine Metastase des Lungenkarzinoms sei.

“Dies sind zwei völlig verschiedene Erkrankungen. Die eine hat mit der anderen nichts zu tun”, sagte er.

Es fiel mir schwer, diese Diagnose einfach zu akzeptieren. Ich fragte den Arzt, ob es nicht irgendeine Behandlung gibt, mit der meinem Mann doch noch geholfen werden kann.

Der Arzt wusste keinen Rat und meinte zum Abschluss des Gesprächs:

“Wie lange es noch dauert hängt davon ab wie schnell das Ding wächst!”

Als ich Willis Zimmer betrat, begrüßte er mich mit den Worten: “Na, hat er dich auch angelogen?” Er klang schwach und bedrückt. Offensichtlich hatte der Arzt seinem Patienten die Diagnose nicht ganz so deutlich geschildert. Auch ich versuchte, ihm nicht völlig den Mut zu nehmen. Die Hoffnung, so erschien es uns, war derzeit alles was uns geblieben war – und die wollten wir, so lange es möglich war, behalten.

Nach einer Weile sagte Willi, dass ich jetzt besser nach Hause gehen solle. “Die Buben werden auf dich warten und wollen wissen wie es mir geht. Sag ihnen nicht alles. Es wird noch schlimm genug!”

Ich versprach meinem Mann tapfer zu sein und hatte keine Ahnung, wie ich es schaffen sollte.

Ausnahmsweise kam ein Aufzug genau im richtigen Moment zum Einsteigen. Obwohl er schon gut gefüllt war, stieg ich noch hinzu. Ich stellte fest, dass mir alles, worauf ich sonst achtete und Wert legte, zum Beispiel in keine überfüllten Aufzüge einzusteigen, sondern lieber zu Fuß zu gehen, gleichgültig war.

Ich kämpfte mit den Tränen und war am Ende meiner Kräfte angelangt. Da erkannte ich mir gegenüber einen Fußballspieler von Willis Altherren-Mannschaft der Rosenhöhe. Er hatte seine Frau besucht, die seit einiger Zeit sehr krank war. Wir grüßten uns, begannen jedoch kein Gespräch. Auch die Erkenntnis, dass man mit seinem Kummer nicht alleine ist, hilft in einem solchen Moment nicht weiter.

Im Auto angekommen, brach ich in Tränen aus. Ich schrie meine Hilflosigkeit hinaus und erkannte mich selbst nicht wieder. Reiß’ dich zusammen, sagte ich mir – du musst für deine Kinder da sein und für deinen Mann, der dich jetzt sehr braucht. Ein bisschen half in solchen Momenten immer wieder der Funke Hoffnung, dass irgendwo Hilfe herkommen oder ein Wunder geschehen wird. Die Naivität dahinter war mir schon bewusst, aber ich verdrängte die Realität und alles, was nicht sein sollte.

Zu Hause warteten unsere Söhne schon auf mich. Ihre traurigen, fragenden Augen werde ich nie vergessen. Stephen sagte nur „und…?“

Ich versuchte, Normalität zu übermitteln und erzählte, dass Papa die Operation zwar gut überstanden habe, die Ärzte den Tumor jedoch nicht hätten entfernen können. Anlügen wollte ich unsere Kinder nicht. Sie hatten ein Recht darauf, die Wahrheit zu hören – auch wenn sie etwas gefiltert war.

Ein paar Tage später sagte mir Willi, dass er um seine Entlassung aus dem Krankenhause gebeten hatte. „Helfen kann mir hier keiner – da kann ich auch heimkommen. Außerdem ist morgen Stephens Geburtstag. Er freut sich bestimmt, wenn ich zu Hause bin.“

Am 24. März 1983 holte ich Willi nach Hause. Zum Geburtstagskaffee hatten sich auch Willis Eltern angekündigt. Es wurde ein gemütlicher Nachmittag im kleinen Familienkreis. Auch wenn wir dabei nicht sehr erfolgreich waren, versuchten wir, die trüben Gedanken zu verdrängen.


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